Magische Zeiten

 

Mögliche Geschichten zu den Bildern von Erich Schrall
von Cornelia Kleÿboldt, M.A.

… es ist, als würden im Atelier von Erich Schrall vielgestaltige Wesen Schlange stehen, um sich von ihm abbilden oder besser: porträtieren zu lassen – auf das sie als gut sichtbare Bildwesen die Kommunikation mit der Umwelt umgehend aufnehmen können.

Sie kommen durch das Schaffen von Erich Schrall als sichtbares Geschenk mit ihrer jeweils besonderen Botschaft zum Betrachter und sie wirken ähnlich wie die Protagonisten einer so genannten Ahnengalerie. Welcher Besucher einer Ahnengalerie hätte nicht schon einmal die verblüffende Erfahrung gemacht, daß nicht er die Bilder ansieht, sondern in Wirklichkeit die Porträtierten ihn beobachten und ihm folgen?

(In modernen Kunstgalerien verhält es sich ja oft umgekehrt: Der Betrachter muß sich um die Bilder bzw. um deren Verständnis bemühen. Erich Schralls Bilder hingegen bemühen sich um den Betrachter und das völlig zwanglos, ziemlich überraschend und obendrein ungehemmt.)

Und manchmal ist es, als würde Erich Schrall sich aufmachen, auf den Weg zu ihnen, zu diesen Wesenheiten, um ihnen nachzuspüren, ihnen zu folgen, zu begegnen, um sie vorzufinden in Spalten, Winkeln, unter Steinen, in der Zeichnung eines Felsens oder einer Baumrinde, in einem flüchtigen Eindruck, im Angewehtsein vom Wind oder im Tränen eines Regentropfens, der an der Fensterscheibe zerplatzt ist und der so unendlich viele Gesichter hat, wie der Betrachter, der sich darin, in jedem Tropfenauge, ein wenig anders und auf jeden Fall kopfüber gespiegelt sieht.
Und Erich Schrall findet die ungebundene Vielzahl, in den niederen Himmeln, im Matsch und in den größeren, den höheren, denen, wo weniger die Gezottelten, als die Gefiederten zu hause sind. Und er begibt sich hinein in das Auge des aufsteigenden Funkens oder der gebärdenden Baumwurzel, steigt ein in die Wirklichkeit, die Sprache und die Form des Unermesslichen und Vielgestaltigen, folgt Begegnungen und Geschichten und der jeweiligen Sprache des Reiches, in das er eingelassen wird.

Erich Schrall ist ein Mann der Herzenssprache, mit dem unerschrockenen Herzen eines Bären oder eines kraftvoll zupackenden Tierkönigs, der sein Revier aufmerksam beobachtend beschützt und durchstreift. Die Wesen seines Reviers vertrauen sich ihm an, verschaffen sich durch ihn Gehör bzw. in seinen künstlerischen Arbeiten einen Ausdruck.

So äußern sie sich manchmal in Positur gesetzt und gestapelt wie auf einem Familienfoto des 19. Jahrhunderts oder sie werden von Schrall „in flagranti“  überrascht. Entdeckt in ihren Freundschaften, Beziehungen und in ihren Entdeckungen, Tätigkeiten, in ihrem Reich. Manchmal aus Kristall, aus Licht, Feuer oder Erde.

Erich Schrall folgt denen, die ihn einladen, die die ihm leuchtend signalisieren und wissen, wo es langgeht. Und bisweilen drängen sie dann hervor oder herauf, aus dem Grunde und auf die Oberfläche der Leinwand, die sie zu ihrer Welt machen und sie gucken dann heraus. Manchmal dem Betrachter direkt, unverwandt in die Augen und dann voller Heimweh oder Verheißung in rätselhaft offene, unerschlossene Richtungen und Räume, jenseits von Leinwand und Betrachter.
Alles ist belebt. Alles ist lebendig. Alles quirlt und schäumt und g’schafftelt und macht unsere Welt wirklich, hält sie zusammen, beseelt sie bis in jedes Sandkorn hinein, in jeden Grashalm an der Hauswand.

Die Knolligen, Drolligen, Grimmigen, Brummenden, Tönenden, Schratelnden, Gefiederten, Fetzenden, Tierähnlichen, die Erschreckten, Gestörten, Gedrängten, Geschratzten, Brennenden, Bleckenden, wurlend Lautenden, Zarten, Trötenden, Nasenden, die Kindlichen, Wütenden, die Verletzten, die witzigen, humorig witzelnden Witzbolde, die Ungeheuerlichen heuernden und dann die ganz Elementaren: die Wässrigen, Feurigen, Luftigen oder Erdigen.
Die fest Gestalteten und die frei Gestalteten Gestaltwandler an der Schwelle zur Gestaltlosigkeit in der sie die nächste Gestalt finden, die sich immerzu wandeln und kaum zu fassen sind, nicht mehr als in einem flüchtigen Fingerstreich in feuchte Farbe…
Sie alle geben sich auf Erich Schralls Bildern ein Stelldichein, haben die Ehre, das Vergnügen und eine Botschaft für denjenigen, der sich berühren, hinreissen und öffnen lässt.

Wer sich einlassen will in die Botschaft einer vollkommen belebten Welt, die von einer ungeheuren Vielzahl zusammen gehalten wird, von den flächenhaften Fratzen, von märchenhaft anmutenden Fabelwesen, die ihre blanken Zeugungsnasen stolz aus den Himbeeren in die Welt der Bilder rausstrecken.

Manch ein Fratzenhaufen zerbirst in eine Vielzahl drängelnder Gesichter, die die Luft erfüllen wie Pilzsporen und einfach nur erhört und gesehen werden wollen.
Sie alle haben eine Geschichte zu erzählen und eine Berührung zu überbringen. Sie alle kommunizieren mit dem, der sich anregen lässt, die Geschichte, den Anklang in seinem Inneren, in seinem Gefühl, seiner Erinnerung, seiner ganz persönlichen Assoziation zu erhören. Und manchmal beginnt der Klang im Herzen und mit einem Fingerzeig geradewegs auf das Entdeckte.
Ob in der Rindenzeichnung eines Baumstammes, einem kichernden Lichtreflex, der das Auge jucken will oder zwischen der Eiszapfenorgel einer Erdspalte: Überall leben und wirken Wesen, die von Menschen unbemerkt oder als besondere Ausdrucksqualität wahrgenommen werden.

„Sieh, aus der Baumstammrinde guckt es uns so grimmig an. Sieht aus, als würde man uns gerade nicht hier haben wollen.“  Kann sein, daß Sie mit diesem Eindruck genau rechthaben.

Schralls Gemälde wirken ähnlich und bis hinein in den Traum. Sie erzeugen Anklänge und laden ein zum Dialog mit denen, die ihrer Berührtheit, Zeit, Aufmerksamkeit und Ausdruck verleihen wollen.

Hier geht es um ALLE MÖGLICHEN GESCHICHTEN und nicht um eine Bestimmte oder gar um eine Einzige. Es geht um die Geschichten des Betrachters, um die (heilsame) Gesamtheit seines Empfindens und seiner Erinnerung, die vis à vis der Schrallschen Wesenheiten angerührt und verdichtet werden, solange auf den Bildern im Malprozess verdichtet werden, bis Schrall empfindet, daß es jetzt genug ist, daß jetzt alles da ist, was auf die Leinwand wollte und sollte:
die Farben, die Schriftzeichen, die Texturen, die Orte, die Einblicke, die Konsistenzen, Offenheiten, die Deutlichkeiten und das Formulierte Wesenhafte, das geradewegs herausguckt, wo Schrall so lange reingeguckt hat, bis es ihm entgegenkam.
Erich Schrall hat sich seiner eigenen Wahrnehmung in einem hohen Masse geöffnet. Sein Malprozess besteht aus dem Beackern, Pflügen, Auf- und Abtragen der Farben, der Farbmaterie, solang, bis es in der gährenden Masse anfängt, sich zu rühren, zu zeigen und Form anzunehmen, in den Farben, die feucht und formbar ein Nest für jegliche Gestalt sind. Hier gilt es zu SEHEN und zu bejahen, zuzulassen und das zu formen, was sich zu formen beginnt.
Ähnlich wie die Wolken, die den Himmel mit Gestalten bemalen, bezeichnen, den Himmel, in dem die Griechen überaus deutlich den Lenker des Sonnenwagens, Apollon, erblickten oder im Felsgestein, in dem die Inder Ausdruck und Gestaltung ihres elefantenköpfigen Gottes Ganesha verehren und in den Byzantinischen Ikonen, denen sich das wahre Antlitz, das Vera Ikon, im Bild offenbarte.

Nichts anderes sind die Gemälde Erich Schralls: Ein Stück Offenbarung, in denen sich die vollkommen unsortierte Vielgestalt einer durch und durch lebendigen Natur äußern will und den Dialog mit dem Betrachter sucht, mit dessen jeweilig vielgestaltiger Wesenheit, die es aus dem Unerhörten, dem Ignorierten zu befreien gilt.

Die Gemälde von Erich Schrall erfühlen den Betrachter, sie erkennen, wer vor ihnen steht. Sie folgen ihm und nicht umgekehrt.
Cornelia Kleÿboldt, M.A.
München, den 13. Juli 2006

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